11.07.23, 13:00 von Daniel Zugehör im Add-on Strom

München (energate) - Mit dem Hochlauf der Elektromobilität betreten neue Akteure wie Energieversorger den Mobilitätsmarkt. Zugleich müssen traditionelle Player diese Entwicklung aufgreifen. So bietet der ADAC - nach eigenen Angaben Europas größter Mobilitätsclub - heute Wallboxen und PV-Anlagen an und handelt THG-Quoten von E-Autos. Über die Chancen und Herausforderungen der Verkehrswende, Sektorkopplung und Energieversorgungssicherheit sprach energate mit ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze.

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energate: Herr Schulze, die E-Mobilität bringt Veränderungen auf vielen Ebenen mit sich. Welche davon ist aus Ihrer Sicht die größte?

Schulze: Die Elektromobilität ist für Verbraucher die heute schon vorhandene Option, um individuelle Mobilität mit PKW im Rahmen der gesetzlich verankerten Vorgaben zur Klimaneutralität 2045 in Deutschland (EU-weit 2050) zu ermöglichen. Vom Gelingen des Hochlaufs der Elektromobilität hängt auch wesentlich ab, ob die Klimaschutzziele im Verkehr in diesem Jahrzehnt erreicht werden können. Denn der elektrische Antrieb ist der wirksamste Hebel beim Klimaschutz im Verkehr. Um die Flotte von 48 Mio. Autos erfolgreich zu transformieren und vor dem Hintergrund eines durchschnittlichen Fahrzeugalters von zehn Jahren, muss die Antriebswende jetzt dringend an Tempo gewinnen. Eine der größten Herausforderungen ist die Parallelität zur Energiewende, denn es muss zeitgleich gelingen, die Stromversorgung ganzjährig auf erneuerbare Energien umzustellen, die Strom- und Verteilnetze sowie die Ladeinfrastruktur auszubauen.

energate: Ein wichtiger Faktor ist - besonders in den urbanen Räumen mit ihren vielen Mietshäusern - das öffentliche Ladenetz. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Schulze: An der Bedeutung einer flächendeckenden öffentlichen Ladeinfrastruktur besteht kein Zweifel. Breite Zustimmung für einen Wechsel vom Verbrenner auf Elektro kann es nur dann geben, wenn auch der städtischen Bevölkerung in Mietwohnungen der Zugang zur E-Mobilität mittels Lademöglichkeiten gewährt wird. Wer keinen Parkplatz an der Wohnung nutzen kann, muss auf der Straße, beim Arbeitgeber oder unterwegs laden. Deshalb ist der Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur stark verbesserungsfähig: So gibt es etwa in den Niederlanden heute bereits fast viermal so viele öffentliche Ladepunkte je 1.000 E-PKW wie in Deutschland. Auch das Verteilnetz muss für Schnellladehubs ertüchtigt werden.

Aus Verbrauchersicht ist auch ärgerlich, dass die Pflicht zur Ausstattung neuer Ladesäulen mit Kartenzahlungsgeräten vom Gesetzgeber um ein Jahr verschoben werden musste. Es gibt bisher zu wenig Anbieter in der Industrie. Wenn am Parkautomat die Bezahlung mit EC- oder Kreditkarte möglich ist, sollte dies auch an Ladepunkten kein Problem sein. Die Bindung an Ladekarten erschwert den Wettbewerb, langfristig kommt das die Nutzer teuer. Außerdem lässt die Transparenz über Ladepreise und Strommengen am Ladepunkt zu wünschen übrig. Wir haben uns ambitionierte Ziele zum Hochlauf der Elektromobilität und zum Ausbau der Ladeinfrastruktur in diesem Land gesetzt. Entsprechend konsequent muss das elektrische Laden so einfach und bequem wie möglich gemacht werden.

energate: Ladesäulenbetreiber beklagen insbesondere, dass Flächen für Ladeinfrastruktur fehlen und die bürokratischen Hürden zu hoch sind. Würden Sie dem zustimmen?

Schulze: Es gibt Kommunen, die das Thema schon vor geraumer Zeit sehr ernst genommen haben und beim Aufbau ihrer Ladeinfrastruktur schon recht weit sind. Hier wurden dann auch mal pragmatische Lösungen umgesetzt. Andere Kommunen tun sich noch schwer, Flächen für Schnellladehubs auszuweisen oder nicht nur die eigenen Stadtwerke als Ladepunktbetreiber zuzulassen. Da wünsche ich mir mehr Offenheit. Insgesamt müssen Barrieren abgebaut und die endlos langen Planungs- und Genehmigungsverfahren abgekürzt werden. Die E-Mobilität wird nur dann die erforderliche Akzeptanz finden, wenn wir es schaffen, das Laden bundesweit so einfach wie möglich machen.

energate: Noch steht als Schreckgespenst im Raum, dass die Bundesnetzagentur bald private Wallboxen drosselt, wenn es eine sichere Energieversorgung erfordert. Ist der jüngste Vorschlag der Behörde zur Reform des § 14a EnWG, Verbraucherinnen und Verbrauchern dann einen Teil der Netzentgelte zu erlassen, ausreichend, um Akzeptanz zu schaffen?

Schulze: Der ADAC hat sich (mit anderen Akteuren zusammen) gegenüber der Bundesnetzagentur dafür eingesetzt, dass die Drosselung der Anschlussleistung verbraucherfreundlicher gestaltet wird. Zugleich müssen marktbasierte Instrumente, also finanzielle Anreize, stärker genutzt werden: So können diejenigen, die bereit sind, ihren Ladevorgang zeitlich zu verschieben, belohnt werden. Andere hingegen können sich weiterhin auf die volle Anschlussleistung verlassen, wenn sie diese gerade für ihren Mobilitätsbedarf brauchen. In beiden Fällen ist die Bundesnetzagentur auf unsere Vorschläge bei der Überarbeitung des Gesetzesvorschlags eingegangen. Wir werden das Verfahren weiterhin begleiten, denn noch sind die sogenannten Konsultationen nicht abgeschlossen.

energate:  E-Autos sind weiterhin oft teurer als Benziner oder Diesel. Die staatliche Förderung hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zum Jahresbeginn gekürzt beziehungsweise für Plug-in-Hybride gestrichen - ein richtiger Schritt?

Schulze: Die hohen Anschaffungskosten für Elektrofahrzeuge erschweren tatsächlich den Umstieg auf die Elektromobilität. Viele Menschen können sich auch ein kleines E-Auto bisher schlichtweg nicht leisten. Da ist zuerst die Industrie gefragt, kostengünstigere Modelle anzubieten. Darüber hinaus muss der Bund neben den Steuervorteilen und dem THG-Bonus auch nach 2024 die Förderung neuer batterieelektrischer Fahrzeuge vor allem unter 45.000 Euro Nettolistenpreis beibehalten. Sie ist für die Menschen ein starkes Signal, dass die Bundesregierung zur Elektromobilität nicht nur Ziele verfolgt, sondern konkret dort unterstützt, wo es noch klemmt. Eine komplette Streichung in absehbarer Zeit würde den Hochlauf der E-Mobilität schwächen.

energate: Der ADAC vertritt mehr als 20 Mio. (E-)Autofahrerinnen und -fahrer. Wie ist die Resonanz bei dem Thema E-Mobilität?

Schulze: Die Bereitschaft, sich über Elektromobilität zu informieren, ist bei unseren 21,5 Mio. Mitgliedern sehr groß. Viele Menschen wünschen sich klimafreundlich betriebene Autos. Aber die Entscheidung für ein E-Auto hängt stark von der Reichweite, den Anschaffungskosten, der Verfügbarkeit und den Lademöglichkeiten ab.

energate: Mittlerweile bieten Sie auch sektorübergreifende Produkte an, darunter Wallboxen, PV-Anlagen, den Handel mit THG-Quoten oder auch vergünstigten Ladestrom über Partner. Wie ist die Nachfrage?

Schulze: Wir bieten mittlerweile seit einigen Jahren Produkte und Services rund um das "Ökosystem" Elektroauto an. Erst war es das Privatleasing für E-Fahrzeuge, inzwischen gibt es zu den genannten Angeboten auch sehr erfolgreich die "ADAC e-Charge Ladekarte" mit über 200.000 Nutzern. Für den THG-Bonus haben sich bisher auch schon über 200.000 Halter von E-Fahrzeugen beim ADAC angemeldet. ADAC-Solar-Photovoltaikanlage und -Wallbox sind als Infrastrukturlösung zu Hause die passende und zukunftsorientierte Voraussetzung für E-Mobilität. Hier sehen wir die Wachstumschancen parallel mit dem Hochlauf der E-Mobilität und der Zunahme an Elektrofahrzeugen generell.

energate: Die E-Mobilität soll den Verkehrssektor nach dem Willen des Bundes dekarbonisieren helfen. Sind wir hierbei - auch angesichts der Energiekrise - im Plan oder muss die Regierung nachbessern, wo?

Schulze: Es gibt im Verkehrssektor noch viel zu tun, um die Klimaziele einzuhalten. Wir sind schließlich weder bei den 15 Mio. Elektroautos bis 2030 noch bei den 1 Mio. Ladepunkten im Plan. Förderliche Rahmenbedingungen und angemessene Förderungen können helfen, diesen Prozess zu beschleunigen, um zügig Erfolge einzufahren. Unter dem Strich sehen wir, dass sich Verbraucher stark für Elektromobilität interessieren. Damit das Vertrauen wächst und der Umstieg gelingt, kommt es jedoch nicht nur auf langfristige Zielsetzungen und Bekenntnisse an. Elementar sind für Verbraucher kurzfristige Planbarkeit und eine Verlässlichkeit staatlichen Handelns.

Die Fragen stellte Daniel Zugehör.