Wien (energate) - Carola Millgramm leitet die Sparte Gas bei der E-Control. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs beobachten Experten der Regulierungsbehörde und der Energieversorger täglich rund um die Uhr die Gasflüsse, Speicherbewegungen sowie die Speicherstände. "Wir bereiten uns tatsächlich auf die Situation vor, dass es zu einem Lieferstopp kommen könnte. Alles andere wäre fahrlässig", sagte Carola Millgramm im Interview mit energate. Kurzfristig sei es dabei nicht möglich, russische Lieferungen mit LNG zu ersetzen.
energate: Wie sehen diese Vorbereitungsschritte aktuell konkret aus? Die Gasspeicher würden bei einem Totalstopp bis Ende April reichen, und was passiert danach?
Millgramm: Wie lange die Gasspeicher tatsächlich reichen würden, kann man nicht so pauschal beantworten. Das hängt nämlich von mehreren Faktoren ab, die Einfluss auf den Gasverbrauch haben, zum Beispiel den Temperaturen und ob die Gaskraftwerke noch zur Stromerzeugung herangezogen werden müssen. Das bedeutet, sobald es wärmer wird, sinkt der Gasverbrauch drastisch ab.
energate: Selbst wenn es nicht zu einem Gaslieferstopp kommt - auch bei einer Halbierung der Gaszufuhr hätten viele Industriebetriebe bereits ein großes Problem. Was tun?
Millgramm: Grundsätzlich verursacht ein Ausfall von einzelnen Gaslieferungen nicht automatisch auch ein Versorgungsproblem. Sollte es jedoch zu so massiven Einschränkungen beim Gasimport kommen, so würden auf der Grundlage des Energielenkungsgesetzes verbrauchsmindernde Maßnahmen gesetzt werden. Dies passiert aber nur in dem Fall, dass Gas durch andere Bezugsquellen und Speicherkapazitäten nicht mehr zu ersetzen wäre, um eine Vollversorgung zu gewährleisten. Die Maßnahmen hätten das Ziel, jedenfalls Haushalte und soziale Dienste als geschützte Kunden ausreichend mit Wärme versorgen zu können.
Verbrauchsmindernde Maßnahmen beinhalten Aufrufe an Erdgasabnehmer, womöglich den Verbrauch zu reduzieren. Auch die Möglichkeiten für Industrie und Gewerbe, auf einer eigenen Plattform Verbrauchsminderungen anzubieten (FlexMol) und Gasverbraucher auf Basis einer Verordnung zu einer Reduktion des Gasverbrauchs zu verpflichten, zählen dazu. Die Details der Einschränkungen sind jeweils von der konkreten Versorgungssituation abhängig.
energate: Einen Ausstiegsplan auch mit einem konkreten Ausstiegsdatum aus russischem Erdgas kann die österreichische Bundesregierung (ÖVP/Grüne) - im Gegensatz zu Deutschland oder Italien - nicht vorweisen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat sich klar gegen ein Embargo für russisches Gas ausgesprochen. Als Ersatz für russisches Gas wird oft Flüssigerdgas (LNG) genannt. Doch die LNG- Infrastruktur in Europa reicht ja bekanntlich nicht aus oder?
Millgramm: LNG-Lieferungen in einer Größenordnung, welche die Lieferungen von russischem Gas nach Österreich ersetzen können, sind kurzfristig nicht möglich. Hier geht es ja nicht nur um die LNG-Mengen an sich, die erst verhandelt und verschifft werden müssten. Sondern es geht auch um die Infrastruktur innerhalb Europas, die es für große Liefermengen nach Österreich in der Form derzeit nur bedingt gibt.
Kurzfristig sehen wir keine Möglichkeit, auf Erdgas aus Russland völlig zu verzichten. Aber an Alternativen wird natürlich auf Hochdruck gearbeitet, dazu zählt unter anderem auch die Erschließung anderer Lieferquellen und -länder. Gas aus Norwegen könnte je nach Transportweg theoretisch relativ schnell zusätzlich nach Österreich kommen. Das hängt aber natürlich auch von möglichen Gasfördermengen und bereits bestehenden Verträgen, also bereits verkauften Mengen, der Norweger ab. Ein rascher Ausbau der Erneuerbaren Energien ist nach wie vor oberstes Gebot der Stunde. Der Wille und die Möglichkeiten dafür sind auch absolut gegeben. Wo wir noch Aufholbedarf sehen, ist zum Beispiel bei den Genehmigungsverfahren für die Infrastruktur. Da müssen wir deutlich schneller werden.
Die Fragen stellte Irene Mayer-Kilani
Ich berichte seit Februar 2020 für energate über den Energiemarkt in Österreich. Zuvor war ich viele Jahre Italien-Korrespondentin für eine österreichische Tageszeitung.