14.01.21, 15:46 von Rainer Lütkehus und Mareike Teuffer

Luxemburg (energate) - Die Befugnisse der Bundesnetzagentur könnten auf Geheiß des Europäischen Gerichtshofs nochmals deutlich größer werden. Darauf deutet ein Plädoyer des Generalanwalts Giovanni Pitruzella hin. Zwar sind die Richter an seine Vorschläge nicht gebunden, trotzdem hören deutsche Juristen, darunter Wiegand Laubenstein, der früher am Oberlandesgerichts Düsseldorf für Klagen gegen die Bundesnetzagentur zuständig war, die Alarmglocken schrillen. Zur Verhandlung steht die Umsetzung der europäischen Erdgas- und Stromrichtlinie aus dem Jahr 2009 in deutsches Energierecht, konkret das EnWG.

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Bei dem Verfahren geht es um zwei Punkte: Zum einen hatte die EU-Kommission Deutschland verklagt, weil sie die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur gefährdet sieht. Zum anderen hat Deutschland das Unbundling der Übertragungsnetzbetreiber und Fernleitungsnetzbetreiber nach Einschätzung der Kommission nicht ausreichend umgesetzt (energate berichtete). Deutschland habe die entsprechenden Vorgaben der EU-Gas- und der EU-Stromrichtlinie aus dem dritten Energiepaket 2009 im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) nicht ordnungsgemäß in deutsches Recht übertragen, so der Vorwurf.

Unbundling nicht richtig umgesetzt

Der Generalanwalt schlägt den 27 EuGH-Richtern nun vor, seinen Erwägungen zu folgen und der Klage der EU-Kommission Recht zu geben. Pitruzella findet, genauso wie die EU-Kommission, dass die Definition des Begriffs "vertikal integriertes Unternehmen" im EnWG nicht im Einklang mit der Erdgas- und der Stromrichtlinie steht. Dabei räumten die zwei Richtlinien den Mitgliedstaaten drei Möglichkeiten ein, um eine "wirksame" Entflechtung sicherzustellen. Das tue das EnWG aber nicht. Außerdem sei im EnWG die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur nicht gewährleistet, sodass diese ihre Befugnisse nicht unparteiisch und transparent ausüben könne, heißt es in seinen 43-seitigen Schlussfolgerungen. Die Richter sind an die Vorschläge eines Generalanwalts zwar nicht gebunden, in der Praxis folgen sie ihnen jedoch meist. Ein Urteil sei in drei bis fünf Monaten zu erwarten, hieß es auf Anfrage von energate beim EuGH.

Rosin: Fehlen einer Kontrollinstanz unter rechtstaatlichen Aspekten nicht hinnehmbar

Erste Reaktionen aus den Reihen der Energierechtsexperten fallen durchaus kritisch aus. "Wenn dem Generalanwalt Recht gegeben wird, kann die Bundesnetzagentur künftig noch viel unabhängiger entscheiden", sagte etwa Peter Rosin von der Kanzlei Rosin Büdenbender zu energate. Sollte zudem der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung weiter in die Richtung entwickeln, dass er Entscheidungen der Bundesnetzagentur -  jedenfalls mit Blick auf ökonomische Fragestellungen - inhaltlich fast nicht mehr überprüft, so würden die Beschlusskammervorsitzenden der Behörde zukünftig weitgehend ohne Restriktionen und Überprüfungsmöglichkeiten entscheiden können. Das wäre unter rechtsstaatlichen Aspekten "nicht hinnehmbar", so Rosin. 

Auch Wiegand Laubenstein, langjähriger Vorsitzender des 3. Energiekartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf, der für alle Beschwerden gegen Entscheidungen der Bundesnetzagentur zuständig ist, sieht das kritisch. Das Bundesverfassungsgericht dürfte nach seiner Einschätzung die Entmachtung des Parlaments in einer solch wichtigen Frage wie der Energiepolitik hin zu einer bloßen Kontrollfunktion kaum hinnehmen, forderte Laubenstein.

Auch der Energieverband BDEW zählt zu den Kritikern. "Sollte der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts folgen, hätte dies erhebliche Folgen für das Regulierungssystem in Deutschland", warnte der Verband. Dabei müsse sichergestellt werden, dass die regulierungsbehördlichen Entscheidungen für die Netzbetreiber verlässlich, vorhersehbar und methodisch konsistent sind. /rl/ml