Wien (energate) - Der Entwurf des Gesetzespaketes zum Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) verfehle in seiner vorliegenden Fassung die sektorübergreifende Dekarbonisierung des heimischen Energiesystems, kritisiert Michael Schmöltzer, Chef von Uniper Energy Storage Austria. Warum die wichtige Rolle der bestehenden Transport- und Speicherinfrastruktur übersehen wird und wie eine kosteneffiziente Transformation des Energiesektors gelingen kann, erklärt er im Interview mit energate.
energate: Herr Schmöltzer, Sie kritisieren, dass der im EAG vorgesehene Ausbau der erneuerbaren Energien nur ein kleiner Baustein auf dem Weg zur Dekarbonisierung des Energiesystems ist und andere wichtige Aspekte im Gesetz vollkommen außer Acht geblieben sind. Was fehlt Ihrer Meinung nach?
Schmöltzer: Mit dem vorliegenden Entwurf werden nur jene rund 20 Prozent des energetischen Endverbrauchs in Österreich erreicht, die auf elektrische Energie entfallen. Die beabsichtigte Erhöhung der erneuerbaren Stromproduktion um 27 Mrd. kWh ist nur ein Baustein zur Dekarbonisierung des Energiesystems. Denn 80 Prozent des energetischen Endverbrauchs basieren auf stofflichen Energieträgern. Durch den forcierten Einsatz von grünen Gasen und Wasserstoff könnte ein weitaus höherer Effekt zur Dekarbonisierung des gesamten Energiesystem erzielt werden. Das politische Ziel, eine Klimaneutralität bis 2040 herzustellen, wird aber nur dann erreicht werden können, wenn jetzt die Rahmenbedingungen für eine sektorübergreifende Dekarbonisierung des Energiesystems in den Bereichen Strom, Gas, Wärme und Mobilität gesetzt werden.
Dabei müssen Anreize für eine kosteneffiziente Transformation für den Energiesektor geschaffen werden, das heißt es muss eine bestmögliche Ausnutzung und Integration der bestehenden Transport- und Speicherinfrastruktur erfolgen, bevor Neuinvestitionen getätigt werden. Auch müssen Rahmenbedingungen für ein neues sektorenübergreifendes Marktdesign geschaffen werden, das auch berücksichtigt, unter welchen Voraussetzungen fünf Mrd. kWh grüne Gase bis 2030 ins Netz eingespeist werden können. So wie für die Liberalisierung des Energiemarktes ein Marktmodell in den letzten 20 Jahren entwickelt wurde, bedarf es jetzt eines neuen Ziel-Marktmodells, in dem alle Marktakteure zur Dekarbonisierung beitragen können.
energate: Das Thema Kosteneffizienz der Netzinfrastruktur ist Ihnen besonders wichtig. Sie wollen, wenn nötig, auch auf den Neubau von Anlagen zur Gas- und Stromspeicherung verzichten. Wieso?
Schmöltzer: Der Ausbau erneuerbarer Energien muss mit der Verfügbarkeit von Speicherkapazitäten einhergehen, denn viele erneuerbare Erzeugungsanlagen sind volatil. Sie speisen nicht gleichmäßig, sondern abhängig von Jahreszeit und Witterung ins Netz ein. Flexibilität aus Speichern ist daher ein unverzichtbarer Garant, Versorgungssicherheit und Netzstabilität in einer zunehmend erneuerbaren Stromerzeugungsstruktur aufrecht zu erhalten. Österreichs Pumpspeicherkapazität liegt derzeit bei vier Mrd. kW. Demgegenüber steht eine Gasspeicherkapazität von 44 Mrd. kW schon jetzt zur Verfügung. Das heißt, bevor erhebliche Neuinvestitionen getätigt werden, sollte die vorhanden Gasinfrastruktur über den Weg grüner Gase in das Stromsystem integriert werden. Dazu bedarf es aber auch regulatorischer Anreize in der Netzplanung und Netztarifierung, die im vorgelegten Entwurf fehlen.
energate: Sie sind dagegen, dass Verteiler- und Übertragungsnetzbetreiber Eigentümer oder Betreiber von Anlagen für die Herstellung von Wasserstoff oder synthetischen Gasen sind. Was sind hierbei Ihre Befürchtungen?
Schmöltzer: Dass Netzbetreiber Eigentümer dieser Anlagen im Rahmen ihres regulierten Geschäfts sein können, schafft erhebliche Wettbewerbsnachteile für alle anderen Marktteilnehmer und schließt sie de-facto vom Markt aus. Die Ausnahmevoraussetzungen sind so konzipiert, dass anderen Marktteilnehmen der Zugang in der Praxis verwehrt bleiben wird. Uniper betreibt beispielweise solche Power-to-Gas Anlagen in Deutschland seit 2014 und kann die Kosten dafür nicht über das regulierte Geschäfte darstellen. Wir bevorzugen hier klar einen wettbewerbsorientieren Ansatz, wie wir ihn über die Marktmechanismen des Regelenergiemarkts ja auch kennen. Auch das deutsche Wirtschaftsministerium sowie die Bundesnetzagentur haben sich wiederholt dagegen ausgesprochen, dass Netzbetreiber im regulierten Geschäft Power-to-Gas Anlagen betreiben dürfen.
energate: Auch die im EAG-Entwurf geplante Dauer des Ausschreibungsprozesses für die Beschaffung der Netzreserve ist Ihnen zu knapp bemessen - welchen Zeitraum würden Sie veranschlagen?
Schmöltzer: Aus Sicht der Gasspeicherbetreiber ist der Beginn dieses Ausschreibungsverfahrens viel zu spät und müsste erheblich früher gestartet werden, um eine erfolgreiche Beschaffung der Netzreserve sicherstellen zu können. Gasspeicherkapazitäten werden für das folgende Speicherjahr, das jeweils am ersten April beginnt, überwiegend bis Jahresende des Vorjahres vermarktet. Das heißt hier entsteht ein Zeitdelta zwischen Vermarktung der Speicherkapazitäten und der Zuteilung der Netzreserven, sodass die erforderlichen Speicherkapazitäten zum geplanten Zeitpunkt der Zuteilung der Netzreserve im September auf dem Speichermarkt nicht mehr verfügbar sind. Zudem wäre es auch wichtig, dass die Absicherung des Brennstoffbezuges zur Bereitstellung der Leistungsreserve in Engpasssituationen durch Speicherverträge in den Ausschreibungskriterien verpflichtend aufgenommen werden. Diese Maßnahmen erhöht die Absicherung der Versorgungssicherheit im Strom- und Gasbereich.
Das Interview führte Alexander Fuchssteiner, energate-Redaktion Wien.
Nach der Matura studierte ich Medien- und Politikwissenschaft und sammelte erste journalistische Erfahrung in Redaktionen. Im Laufe der Zeit entdeckte ich mein Interesse für wirtschaftliche Themen und absolvierte einen Lehrgang im Bereich Wirtschaftsjournalismus.