Essen (energate) - Der Hochlauf der E-Mobilität könnte dieses Jahr einen deutlichen Schub erfahren. Dafür spricht, dass die Automobilbranche trotz der Coronakrise daran festhält, ihr Angebot bis 2023 von heute 70 auf dann 150 E-Modelle erhöhen zu wollen. Zugleich wollen die Hersteller bis 2024 weiterhin rund 50 Mrd. Euro in alternative Antriebe investieren. Das bekräftigte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Hildegard Müller, im jüngsten energate-Webtalk.
Dazu kommt, dass Wallboxen für zuhause oder Ladelösungen für Unternehmen derzeit offenbar so nachgefragt sind wie nie. "Die Nachfrage steigt dramatisch", sagte etwa Ralf Klöpfer, Vertriebsvorstand des Mannheimer Versorgers MVV. Spätestens seit Oktober des vergangenen Jahres steige sie exponentiell, und das sowohl seitens der Privatkunden als auch von Unternehmen, so Klöpfer. Der Manager führt das zum Teil darauf zurück, dass mittlerweile "mindestens ein Drittel" der Kunden, die eine Photovoltaikanlage kaufen, zusätzlich eine Wallbox erwerben. Manchmal sogar dann, wenn sie noch kein E-Auto hätten. Unternehmen wiederum würden zunehmend ihre Flotten umstellen.
Auch Christopher Burghardt, Managing Director Europa beim Ladedienstleister Chargepoint, konstatiert aktuell eine "enorme Nachfrage". Lieferengpässe gebe es zudem keine, unterstreicht Burghardt angesichts coronabedingter Ausfälle in manchen Branchen.
Gleichwohl sehen alle drei noch Hemmnisse für einen echten Hochlauf. VDA-Chefin Müller verweist etwa darauf, dass die Autobauer mitten im Transformationsprozess von der Pandemie getroffen worden seien. "Wir sind in erheblichen Schwierigkeiten", so Müller. 50 Prozent der Beschäftigten seien noch in Kurzarbeit. Zwar gehe es Branchen wie der Hotelbranche schlechter, dennoch könnten eventuell Restrukturierungen nötig sein.
MVV-Vorstand Klöpfer bemängelte außerdem ein "Wildwest bei Ladeinfrastruktur", insbesondere im öffentlichen Raum. Hier mache momentan jeder "sein eigenes Ding", Standardisierung sei ein Fremdwort. Um als E-Autofahrer deutschlandweit laden zu können, seien "zig Ladekarten und Apps" notwendig, kritisiert Klöpfer. Auch Chargepoint-Europachef Burghardt sieht die Fragmentierung als gravierenden Nachteil. E-Mobilität müsse einfach sein, mahnt Burghardt - sowohl für Nutzer als auch für Ladepunktbetreiber. Er zeigte sich überzeugt, dass eine übergreifende digitale Plattform dafür von zentraler Bedeutung sein wird. Um einen umfassenden Service zu bieten, sei allerdings eine gewisse Größe vonnöten, eine Konsolidierung unter den Dienstleistern in naher Zukunft ist aus Sicht Burghardts daher unausweichlich.
Einig sind sich die drei, dass es noch Zeit braucht, um mit Angeboten rund um die E-Mobilität Geld zu verdienen. Zwar könnten einzelne Aspekte wie zum Beispiel das Schnellladen schon jetzt lukrativ sein, vielfach sei das aber noch nicht der Fall. Gerade Normalladesäulen im öffentlichen Raum werden sich laut MVV-Vorstand Klöpfer nie rechnen. Aussichtsreich sei dagegen, unterschiedliche Produkte miteinander zu kombinieren. In dem Zusammenhang appelliert er auch, sich über Branchengrenzen hinweg stärker abzustimmen und weniger "in Silos" zu arbeiten.
Dass der PKW mit Verbrennungsmotor in den nächsten knapp zehn Jahren jedoch vollständig von der Straße verschwunden sein wird, dem erteilte VDA-Chefin Müller eine Absage. Die Transformation sei nicht ganz einfach. Viele Mitgliedsunternehmen konzentrierten sich zwar nun auf die E-Mobilität, doch "der moderne Verbrenner wird auch 2030 noch ein Thema sein." /dz