19.05.20, 17:00 im Add-on Österreich

Zwettl/Wien (energate) - Der regionale Versorger Nawaro Energie betreibt drei Holzkraftwerke im Waldviertel. energate sprach mit Geschäftsführer Hans-Christian Kirchmeier unter anderem über den Erneuerbarenausbau, drohende Betriebsschließungen und Wege aus der Coronakrise.

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energate: Herr Kirchmeier, Sie fordern von der Regierung ein rasches Umsetzen des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes (EAG). Laut Energieministerin Gewessler soll es Anfang 2021 in Kraft treten und ein erster Entwurf vor dem Sommer vorliegen. Welche Forderungen sind dabei zentral?

Kirchmeier: Falls der Zeitplan kippt, hätte das fatale Konsequenzen. Das Ziel, bis 2030 Strom zu 100 Prozent aus Erneuerbaren zu produzieren, ist dann nicht mehr zu erreichen. Es müssen unbedingt Betreiber und Hersteller einbezogen werden. Das größte Problem bisher war, dass die Übergangsregelungen für einen Großteil der Betroffenen keine Wirkung hatten, da sie sich nicht an der Praxis orientieren. Viele haben keine Anträge auf Nachfolgetarife mehr gestellt. Wir brauchen praxistaugliche Gesetze.

energate: Was sind ihre Bedenken? 

Kirchmeier: Bestandsanlagen müssen unterbrechungsfrei weiterlaufen und Neuanlagen so rasch wie möglich gebaut werden können. Stellen Sie sich vor, das EAG kommt nicht rechtzeitig oder mit Regelungen, die uns zwingen, unsere drei Anlagen zu schließen. Das würde hunderte Arbeitsplätze in der Region kosten. Und einen Stromverlust aus erneuerbaren Energieträgern im Ausmaß von 123 Mio. kWh. Das entspricht dem Bedarf von 30.000 Haushalten. Das wäre völlig unverantwortlich.

energate: Ministerin Gewessler hat einen Förderrahmen für erneuerbare Energiequellen angekündigt. Bei der Biomasse soll es bis 2030 zu einem Zubau von einer Mrd. kWh Strom kommen. Dabei soll es Betriebsförderungen in Form von gleitenden Marktprämien geben. Da Investitionsförderungen aufgrund der hohen variablen Betriebskosten die Kosten nicht decken. Wie sehen Sie dieses Vorhaben?

Kirchmeier: Gleitende Marktprämien erlauben uns, stärker am Markt teilzunehmen und das Unternehmen weiterzuentwickeln. Das Problem: Viele unterschiedliche Holzkraftwerke beteiligen sich am Markt. Es gibt erhebliche Größenunterschiede, unterschiedliche Standorte und Betreiber, wie Privatunternehmen, EVUs, Industrie oder Gemeinden. Das System muss allen eine Chance bieten, daher sind die Detailvorgaben sehr wichtig.

energate: Wie sieht Ihr ideales Biomasse-Fördersystem aus?

Kirchmeier: Es braucht gleitende Marktprämien mit Selbstvermarktung des erzeugten Stroms für große Holzkraftwerke (über 500 kW). Weiters Einspeisetarife oder Marktprämie mit Abnahmepflicht durch einen institutionellen Anbieter, wie einer  Abwicklungsstelle für Kleinanlagen (bis 500 kW). Auch Nachfolgetarife und erreichbare Effizienzkriterien, die Bestandsanlagen bis zum Ende der technischen Lebensdauer im Betrieb halten, sind notwendig.

energate: Bis 2030 werden Verträge von Ökostromanlagen auf Basis fester Biomasse im Gesamtvolumen von 70 MW auslaufen. Welche Anreize müssen gesetzt werden, um die unter Vertrag stehenden Anlagen länger als 20 Jahre zu betreiben? 

Kirchmeier: Holzkraftwerke haben bei guter Wartung eine deutlich längere Lebensdauer. Zum einen kann man die Differenz zwischen Betriebskosten und Marktpreis für den erzeugten Strom ausgleichen, inklusive der Möglichkeit, notwendige Ersatzinvestitionen zu tätigen. Wichtig wäre die Möglichkeit zur Revitalisierung und Anerkennung als Neuanlage, ohne das Kraftwerk komplett abtragen und neu bauen zu müssen. 

energate: Sie lancierten im Herbst einen Appell zur Rettung heimischer Holzkraftwerke, die aufgrund der erwähnten fehlenden Nachfolgeregelungen vor dem Aus stehen. Sie forderten einen parteiübergreifenden Schulterschluss. Gab es darauf eine Reaktion?

Kirchmeier: Es gab keine direkte Reaktion, aber es wurde die ÖSG Novelle 2019 beschlossen. Diese hat aber erhebliche Schwächen. Es gibt unterschiedliche Tarife, Effizienzkriterien und Laufzeiten. Es ist nicht nachvollziehbar, warum für Anlagen - deren Ersttarife 2020 auslaufen - andere Regelungen gelten, als für jene Anlagen, deren Tarife 2017 bis 2019 ausgelaufen sind.

energate: Wie hoch sind die Förderungen, die Sie für die drei Holzkraftwerke im Waldviertel bekommen?

Kirchmeier: Aktuell bekommen wir für eine MWh Strom 150 Euro. Wir haben vor einigen Jahren drei Mio. Euro in Effizienzsteigerung investiert. Zusätzlich haben wir Brennstoffe durch kontinuierliches Mischen unterschiedlicher Qualitäten homogenisiert. Dank unserer Techniker konnten wir die Kesselreinigung bei laufendem Betrieb durchführen. So konnten wir die Betriebskosten senken, die Anlagenverfügbarkeit und die Energieproduktion deutlich erhöhen.

energate: Welche Herausforderungen müssen Sie aufgrund der Coronakrise in ihrem Unternehmen weiterhin meistern?

Kirchmeier: Eine besondere Herausforderung ist die planmäßige Durchführung der Anlagenrevisionen. Das ist eine logistische Meisterleistung. Neben strikten Zeit- und Zutrittsplänen, Kontaktbeschränkungen und Sicherheitsvorkehrungen haben wir zusätzliche Mannschafts- und Sanitärcontainer aufgestellt.

energate: Sind krisenbedingt Stellen gefährdet?

Kirchmeier: Es mag komisch klingen, aber für uns ist die aktuelle Rechtsunsicherheit eine größere Bedrohung als das Coronavirus. Nicht Corona gefährdet Arbeitsplätze und lokale Wertschöpfung, sondern unzureichende und fehlende gesetzliche Regelungen.

energate: Klimawandel und Borkenkäfer bedrohen den Holzbestand. Welche Auswirkungen hat das auf Sie als Energieversorger?

Kirchmeier: Der Zustand des Waldes im Waldviertel ist in manchen Gegenden katastrophal. Die Existenz von Familien und Forstbetrieben steht auf dem Spiel. Durch die energetische Verwertung des immensen Schadholzanfalles können Forstbetriebe Einkommen generieren. Das befallene Holz muss schnell aus dem Wald gebracht werden, um dem Borkenkäfer Brutmöglichkeiten zu entziehen. Wir übernehmen jährlich 720.000 Schüttraummeter Schadholz. Wir tragen maßgeblich zur  Waldhygiene bei und haben in den letzten Jahren rund 112 Mio. Euro für regionales Holz ausgegeben.

energate: Verwenden Sie weiter fast ausschließlich Schadholz für Holzkraftwerke? Was ist künftig geplant?

Kirchmeier: Wir werden auch weiterhin fast zu 100 Prozent Schadholz verwerten. Wir haben spannende Konzepte für die Zukunft. Dazu müssen unsere Werke aber auch nach 2020 in Betrieb bleiben. Wenn die entsprechenden gesetzlichen Regelungen nicht in Kraft treten, müssen wir schließen. Es ist für mich persönlich bedrückend, aber als Geschäftsführer hätte ich keine andere Wahl. Das wäre ein Lehrbeispiel für kollektives Politikversagen. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, aber die Zeit drängt.

Das Interview führte Irene Mayer-Kilani, Wien.