Essen (energate) - Die aktuelle Coronakrise hat die Diskussionen um den Kohleausstieg zwischenzeitlich zwar zum Erliegen gebracht, doch der Gesetzentwurf der Bundesregierung hallt bei den betroffenen Unternehmen noch nach. Der Kraftwerksbetreiber Steag sieht sich durch das Vorhaben massiv benachteiligt und legt sich nun Rechtsmittel zurecht. "Wir ziehen es in Betracht, gegen den Kohleausstieg, wenn er unverändert bleibt, Klage zu erheben", sagte Joachim Rumstadt, Vorsitzender der Steag-Geschäftsführung, im Gespräch mit energate.
Der Gesetzentwurf werfe gleich an mehrfachen Stellen rechtliche Zweifel auf - etwa in der Ungleichbehandlung von Stein- und Braunkohle, führte der studierte Jurist zur Begründung an. Die Braunkohle profitiere von höheren Entschädigungen und längeren Laufzeiten, während den Betreibern von Steinkohlekraftwerken entschädigungslose Stilllegungen nach 2026 drohten. "Das ist rechtlich nicht begründbar", befand Rumstadt. Zumal entschädigungslose Enteignungen "in unserem Rechtssystem grundsätzlich nicht vorgesehen sind".
Mit seiner Kritik an dem Gesetzentwurf steht der Steag-Chef nicht allein da. Neben weiteren Kraftwerksbetreibern hatte auch der Bundesrat Nachbesserungen in zahlreichen Punkten gefordert, unter anderem eine Verlängerung der Ausschreibung für den Steinkohleausstieg bis zum Ende der 2020er Jahre. Diese Forderungen hat die Bundesregierung zuletzt zurückgewiesen (energate berichtete). Dem begegnete Rumstadt mit Unverständnis. Die Änderungsvorschläge der Länderkammer seien "sachlich richtig und politisch geboten". Dass diese nun auf Ablehnung stießen, erhöhe den Druck auf die politischen Entscheider, "doch noch zu einer einvernehmlichen und rechtssicheren Lösung auf Basis der Empfehlungen der Kohlekommission zu kommen", so der Steag-Chef.
Rumstadt erinnerte daran, dass die Bundesregierung mit den Betreibern der Braunkohlekraftwerke monatelang verhandelt habe, während die Vertreter der Steinkohle nicht mal einen Tag lang Zeit hatten, den Gesetzentwurf zu kommentieren. "Da wird der gesetzgeberische Prozess der gesellschaftlichen Relevanz des Großprojekts Kohleausstieg qualitativ nicht gerecht", kritisierte der Steag-Chef. Dass bei der Braunkohle durch die Tagebaue mehr Arbeitsplätze betroffen sind, ist aus seiner Sicht "rechtlich kein tragfähiges Argument für eine bevorzugte Behandlung".
Als weiteren Kritikpunkt führt Rumstadt den "Kollateralschaden Wärmeversorgung" an. Sein Unternehmen betreibt zahlreiche Kraftwerke, die Wärme auskoppeln und diese an Industriekunden liefern oder in Fernwärmenetze einspeisen. Rumstadt sieht insbesondere den engen zeitlichen Spielraum für notwendige Ersatzinvestitionen kritisch. "Es kann nicht sein, dass wir stromseitig in Stilllegungsauktionen bis 2026 getrieben werden, und uns zugleich nur noch ein kleines Zeitfenster bleibt, in dem man in Deutschland keine Ersatzkraftwerke errichten kann", warnte er mit Blick auf die langwierigen Genehmigungsverfahren.
Kritisch betrachtet die Steag zudem die Behandlung von Steinkohlekraftwerken südlich der Mainlinie in dem Ausschreibungsdesign. Als Beispiel führte Rumstadt die beiden saarländischen Steag-Kraftwerke Bexbach und Weiher an. Für beide hatte der Übertragungsnetzbetreiber Amprion in der Vergangenheit mehrfach die beantragte vorläufige Stilllegung wegen Systemrelevanz untersagt. Als Konsequenz dürfen die Kraftwerke nicht an den geplanten Stilllegungsauktionen teilnehmen beziehungsweise nur mit einem "Netzfaktor", der sie schlechter stellt. "Da kann es uns also passieren, dass wir zum Dank dafür, dass wir das Stromnetz stabilisieren, die Kraftwerke entschädigungslos aus dem Betrieb nehmen müssen", sagte Rumstadt.
Als "Posse" bezeichnete Rumstadt derweil die Sonderbehandlung, die das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 in den Plänen zum Kohleausstieg erfährt. Das Uniper-Kraftwerk soll als letztes Kohlekraftwerk Deutschlands in diesem Sommer noch ans Netz gehen dürfen. Rumstadt erinnerte daran, dass Datteln 4 bereits 2007 in Bau ging, früher also als andere Steinkohlekraftwerke der jüngsten Generation, die nun deutlich vor dem Ende der eigentlichen Laufzeit von üblicherweise 40 Jahren aus dem Betrieb gehen müssen. "Dass für Datteln 4 ein Sondermodus bemüht wird, weil das Kraftwerk technisch und genehmigungsseitig größere Probleme hatte als andere, ist für mich nicht nachvollziehbar." /rb
Seit 2011 bin ich Teil der energate-Redaktion. Für den energate messenger habe ich insbesondere im Blick, was die Unternehmen der Energiewirtschaft so treiben - vom börsennotierten Großkonzern bis zum Provinz-Stadtwerk.