Berlin (energate) - Die Coronapandemie hat Europa in eine Rezession gestürzt. Bereits jetzt herrscht auf den Energiemärkten eine durchweg bearishe Stimmung. Die Energienachfrage sei deutlich zurückgegangen. "Die Spanne der einschlägigen Prognosen reicht von einem 5- bis 30-prozentigen Rückgang des BIP in diesem Jahr", sagte Hanns Koenig, Energieexperte von Aurora Energy Research, zu energate. Gemeinsam mit der Boston Consulting Group (BCG) hat sein Beratungshaus die Entwicklung der Strom- und Gaspreise sowie der EUAs analysiert und einen Ausblick gewagt. Italien hat den stärksten Rückgang in ganz Europa erlebt, wobei der Gesamtstromverbrauch in der letzten Märzwoche um mehr als 20 Prozent im Vergleich zur gleichen Woche des Vorjahres gesunken ist. In Deutschland zeigt sich hingegen bislang kein signifikanter Rückgang der Energienachfrage.
Die Schockwellen, die das Coronavirus aktuell aussendet, haben laut Aurora und BCG den europäischen Markt für CO2-Zertifikatehandel besonders stark getroffen. Die Preise fielen im März um etwa 30 Prozent von einem früheren Niveau von etwa 24 Euro pro Tonne CO2 auf einen Mindestpreis von 15 Euro je Tonne, bevor eine leichte Erholung einsetzte. Ein starker Nachfragerückgang im Luftfahrtsektor aufgrund von Reisebeschränkungen und der Annullierung von zwei Dritteln der weltweiten Flüge sei einer der Gründe, die schwächelnde Industrie mit geringerer Nachfrage ein weiterer, so die Analysten. "Der Zertifikatepreis von 25 bis 26 Euro war natürlich teilweise durch die Erwartung noch höherer Preise beziehungsweise eines Squeezes des Marktes Anfang der 2020er getrieben", erläuterte Koenig auf energate-Anfrage. Dies sei aber normal: Da die Zertifikate über Jahre hinweg mitgenommen werden können, werde der aktuelle Preis teilweise durch den langfristigen Wert beziehungsweise die Opportunitätskosten für das Halten der Zertifikate getrieben. "Hier erwarten wir durch die Krise keine langfristigen Veränderungen, da die fundamentalen Vermeidungskosten langfristig gleich bleiben, sodass wir auch unsere Preisprojektionen nicht anpassen", resümiert er.
Ein wesentlicher Faktor für den Rückgang der Strompreise ist der fallende Gaspreis, was allerdings kein neuer Trend sei, wie die Analysten klarstellten. Der milde Winter 2020 in Europa und Asien, ein Überangebot an LNG sowie eine insgesamt hohe Verfügbarkeit von Erdgas hätten den Preis bereits deutlich gedrückt. Die Coronapandemie hat allerdings die Nachfrage nach Erdgas zusätzlich gesenkt und somit auch den Marktpreis. "Die Preise waren schon vorher auf einem so niedrigen Niveau, dass niemand im Markt damit Geld verdient. Dadurch konnten sie unter dem Einfluss der Coronakrise nur noch wenig weiter fallen", so Koenig.
Für die Stromerzeuger wird der niedrige Erdgaspreis nicht ohne Folgen bleiben. Thermische Kraftwerke würden im Laufe des Jahres wahrscheinlich ebenfalls einen erheblichen Rückgang der Einnahmen verzeichnen. Die endgültigen Zahlen hingen allerdings von dem Ausmaß des Rückgangs des Stromverbrauchs und dem Tempo der Erholung ab. In einem Szenario mit stärkeren Auswirkungen auf die Nachfrage und einer längeren Erholung könnten die Großhandelsmargen für eine GuD-Anlage im Jahr 2020 gegenüber 2019 um fast 30 Prozent sinken. Das Einnahmerisiko für die Stromerzeuger fällt aber teilweise milder aus, wenn sie ihren Strom auf Termin verkauft haben. Auf der anderen Seite sehen sich Stromhändler, die bereits Strom und Gas für die Lieferungen in den Jahren 2020 und 2021 gekauft haben, nun erhöhten Risiken im Zusammenhang mit sinkenden Preisen und sinkender Nachfrage gegenüber.
Eine seriöse Prognose darüber, wie schwerwiegend die Corona-Rezession sein wird und wann die Erholung einsetzen könnte, sei derzeit unmöglich, so das Zwischenfazit der Analysten. Im Idealfall einer relativ leichten Rezession rechnet Koenig mit einer Erholung der Stromnachfrage bald nach Ende des Shutdowns, der in einem solchen Szenario wohl Ende April oder Anfang Mai zurückgefahren wird. Im Worst-Case-Szenario erwartet er in diesem Jahr keine Erholung, "da reihenweise Betriebe, die nun temporär stillgelegt sind, insolvent gehen werden", sagte der Experte. /am