Berlin (energate) - Mit einem 10-Punkte-Plan hat sich das Bündnis Power-to-X-Allianz zur Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung positioniert. Darin fordern die Unternehmen der Automobil-, Mineralöl- und Energiewirtschaft mehr Ehrgeiz beim Ausbau der Elektrolyse-Kapazitäten. energate sprach darüber mit Melanie Form, Vorstandsmitglied der Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany (Aireg), und Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbands (MWV).
energate: Deutschland will Wasserstoffnation Nr. 1 werden. Die Regierung schlägt dazu vor, dass bis 2030 ein Fünftel des hierzulande genutzten Wasserstoffs aus grüner Produktion stammt. Reicht das für die internationale Marktführerschaft?
Christian Küchen: Ich denke, man könnte etwas ambitionierter vorgehen. Wir haben in der Power-to-X-Allianz vorgeschlagen, in den nächsten fünf Jahren jeweils ein Gigawatt Elektrolyseleistung auszuschreiben. Damit würde man nach unseren Berechnungen in etwa genau auf den von der Regierung angestrebten Anteil grünen Wasserstoffs kommen, aber schon 2025 und nicht erst 2030. Um die angestrebte Technologieführerschaft zu erreichen, wäre aus unserer Sicht also mehr Mut erforderlich.
Melanie Form: Grundsätzlich sehe ich die Nationale Wasserstoffstrategie positiv, diese zeigt in die richtige Richtung. Aber wir sollten nicht zu lange hadern und zu klein anfangen. Wasserstoff bietet uns eine große industriepolitische Chance, die sollten wir nutzen. Dazu brauchen wir Pilotanlagen im industriellen Maßstab, mit deren Aufbau wir jetzt beginnen müssen und nicht erst in ein paar Jahren.
energate: Die Politik hat bei ihrem Zögern ein Argument auf ihrer Seite, nämlich die heute noch sehr hohen Kosten der grünen Wasserstoffproduktion.
Form: Das ist sicherlich richtig. Deshalb schlagen wir ja auch einen Instrumentenkasten vor, der den Power-to-X-Technologien den Weg in den Markt ebnet. Dazu gehören Ausschreibungen, die wir für den kosteneffizientesten Weg der Förderung halten. Dazu zählen aber auch sektorspezifische Quoten und die Entlastung von Steuern und Abgaben auf den in der Elektrolyse benutzten Strom.
Küchen: Wichtig ist uns, dass - anders als von Teilen der Bundesregierung bislang vorgesehen - alle Sektoren umfassend adressiert werden. Also die Industrie, der Verkehrssektor, der Wärmemarkt und - wenn es um die Speicherung geht - auch der Strommarkt. Beispiel Wärmemarkt: Wenn wir die heutigen 20 Mio. Öl- und Gasheizungen in Deutschland durch Wärmepumpen ersetzen, dann erzeugen wir an kalten Wintertagen einen Spitzenbedarf, den wir gar nicht abdecken können. Deshalb dürfen wir hybride Heizsysteme, die grüne Gase oder Flüssigkeiten zu Zeiten der Spitzenlast im Stromnetz nutzen, nicht ausschließen.
energate: Der Wärmemarkt ist aber sicher nicht der erste Markt, den man adressieren sollte.
Küchen: Ziel muss es sein, Märkte für CO2-freien Wasserstoff zu schaffen. Im Wärmemarkt oder in der Industrie, die heute nur rund 25 Euro pro Tonne CO2 zahlt, geht das sicherlich nur über eine vergleichsweise hohe Förderung. Es gibt aber Märkte, wie den Verkehrssektor, wo der CO2-Preis durch verschiedene Regulierungen bereits heute deutlich höher liegt und die Zahlungsbereitschaft für CO2-freie Alternativen damit greifbar ist. Wenn man die Mineralölsteuer umrechnet und den CO2-Preis von 25 Euro ab nächstem Jahr drauflegt, ist Benzin mit 300 Euro pro Tonne belastet. Dazu kommen drohende Ausgleichszahlungen von 470 Euro pro Tonne, wenn die Treibhausgasminderungsquoten bei Kraftstoffen nicht eingehalten werden. Zusammen ergibt das ein Preissignal, bei dem sich Investitionen in CO2-freie Kraftstoffe rechnen würden.
energate: Das Bundesumweltministerium will den Straßenverkehr bei der Wasserstoffstrategie aber am liebsten außen vor lassen.
Küchen: Und das wäre ein großer Fehler. Denn mit Blick auf die Klimaziele können wir es uns gar nicht leisten, einzelne Sektoren außen vor zu lassen.
energate: Frau Form, den Luftverkehr will die Bundesregierung mit einer 2-Prozent-Quote für grünes Kerosin adressieren. Wissen Sie schon, woran sich diese Quote genau bemisst?
Form: Wir interpretieren es so, dass es eine Zielmarke für den innerdeutschen Flugverkehr ist. Wenn dem so ist, bezieht sich die Vorgabe sicherlich nur auf eine sehr überschaubare Menge. Ich will den Ansatz aber dennoch nicht negativ kommentieren. Vielmehr sehe ich darin einen ersten Schritt in die richtige Richtung, auch wenn es zugegebenermaßen nur ein sehr kleiner ist.
energate: Ihr Präsident Kay Kratky hat im vergangenen Jahr eine Quote von 20 Prozent vorgeschlagen.
Form: Das ist richtig, und wir sind auch überzeugt, dass man mehr machen kann als zwei Prozent. Es ist aber ein Anfang. Andere Länder wie etwa die Niederlande, Norwegen oder Frankreich haben sich schon ambitioniertere Quoten für erneuerbare Flugkraftstoffe gesetzt. Diesem Beispiel muss Deutschland folgen. Um eine möglichst zeitnahe und breite Nutzung erneuerbarer Flugkraftstoffe zu fördern, bezieht sich die adressierte Treibhausgasminderungsquote von 20 Prozent daher auf die Nutzung von RED-II-konformen erneuerbaren Flugkraftstoffen insgesamt und nicht ausschließlich auf Power-to-Liquid-Flugkraftstoffe. Nichtsdestotrotz werden PtL-Flugkraftstoffe insbesondere langfristig eine zentrale Rolle im Luftverkehr spielen, weswegen ihre frühzeitige Förderung entscheidend ist.
energate: Herr Küchen, in welcher Höhe könnte eine Quote im Verkehrssektor ausfallen?
Küchen: In der Politik kursiert ein Ziel von 20 Prozent erneuerbaren Kraftstoffen. Das halte ich für 2030 aber eher nicht für erreichbar. 20 Prozent des Kraftstoffmarktes entsprächen im Jahr 2030 in etwa 8 Mio. Tonnen grüner Kraftstoffe. Das ist schon eine Hausnummer.
energate: Und es stellt sich die Frage, wo die erneuerbare Energie dafür herkommen sollte.
Küchen: Deshalb sagen wir im Übrigen nicht nur als Power-to-X-Allianz, sondern auch als Mineralölwirtschaft: Wir brauchen mehr erneuerbare Energie. Dazu müssten wir eigentlich die Ausbauziele im Inland erhöhen. Zugleich muss aber auch allen Beteiligten klar sein, dass ein wesentlicher Teil der benötigten erneuerbaren Kraftstoffe importiert werden muss. Und wir werden darüber hinaus auch erhebliche Mengen von Wasserstoff importieren müssen, wenn wir neben der Kraftstoffherstellung auch den großen Bedarf in der Industrie abdecken wollen. Zumindest in der nächsten Zeit - davon bin ich persönlich überzeugt - werden wir auch blauen Wasserstoff benötigen, zumindest für eine Übergangszeit. Wobei man bei Brücken ja nie ganz sicher sein kann, wie lange sie tragen.
energate: Zum Abschluss möchte ich gerne von Ihnen wissen, welche die aus Ihrer jeweils fachspezifischen Sicht die wichtigsten Forderungen zum Aufbau einer grünen Wasserstoffwelt sind?
Küchen: Ich sehe zwei Aspekte: Erstens brauchen wir ein konkretes Förderprogramm substanzieller Art. Das kann das von uns vorgeschlagene Ausschreibungsmodell sein oder auch ein anderes. Zweitens muss es in Märkten, in denen es eine hohe Zahlungsbereitschaft gibt, auch eine Anerkennung von CO2-freien Alternativen geben. Das ist substanziell.
Form: Dem kann ich nur zustimmen. Aus Sicht der Luftfahrt wären Ausschreibungsmodelle oder Förderprogramme und Quoten die zielführenden Maßnahmen, die sich zudem gut aufeinander abstimmen lassen. Im Straßenverkehr hat man in Deutschland sowie in anderen Ländern trotz anfänglicher Schwierigkeiten mit Quoten gute Erfahrungen gemacht. Dem Beispiel sollte der Luftverkehr folgen. Andere Länder gehen diesen Weg bereits. Warum nicht auch Deutschland?
Das Interview führte Christian Seelos, energate-Chefredakteur.
Ich bin gebürtiger Pfälzer, glücklicher Familienvater und ein energate-Urgestein. Schon während meines Studiums der Kommunikationswissenschaft und Anglistik war ich für energate tätig, ab 2005 als Redakteur am Standort Essen, seit 2007 in Berlin.